Wie so viele Einrichtungen der Harvard Universität ist auch ihr Sensory Ethnography Lab innovativ und revolutionär. Das Ziel der relativ jungen Einrichtung ist es, neue Techniken für den Dokumentarfilm zu entwickeln, und vergangene Erfolge wie “Manakamana” oder “Sweetgrass” haben bereits bewiesen, dass hier nicht nur akademische Theorien produziert werden. Das einflussreichste Ergebnis der Einrichtung ist und bleibt allerdings der 2012 gedrehte “Leviathan”. Co-Regisseure Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel zeigen die nordamerikanische kommerzielle Fischereiindustrie so hautnah und beängstigend, wie man Schiffe vermutlich noch nie im Film erlebt hat. Wie erzielten sie dies? Sie entschieden sich prompt, Go Pro-Kameras an die Rümpfe der Schiffe anzubringen und zu filmen, in Elf-Stunden-Schichten.
Das Ergebnis ist eine beängstigende Nähe zu den Elementen, die gleichzeitig unwirklich scheint, da das Publikum geradezu in die raue Wirklichkeit kielgeholt wird. Die Szenen erschüttern, bestürzten und betäuben schließlich, während man in der Gleichgültigkeit dieser Industrie versinkt. Man fühlt sich, als arbeite man auf dem Schiff, man sieht die Crew, sie scheinen fast wie Roboter, und man wird einer von ihnen. Gewiss ist Leviathan eine anstrengende Erfahrung und am Ende hat man eigentlich das Gefühl, man müsste für seine Arbeit bezahlt werden.